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Eine aussterbende Spezies – Die Briefmarke

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Berlin, Ende der 80er Jahre. Ich stehe mit meiner Mutter in einer Hauptpostfilile in Schöneberg an einer langen Schlange an. Manche Menschen haben sich auf nicht gerade bequemen Sitzgelegenheiten niedergelassen, die Scene wirkt wie im heutigen Arbeitsamt. Langsam schreitet man voran, kommt dem begehrten Postschalter und dessen geschützten Beamten stetig näher. Das Ziel ist schließlich nach rund 45 Minuten erreicht. Ich versuche mit meiner kindlichen Größe einen Blick auf den Bediensteten zu werfen, was aber aufgrund der Höhe des Schalters ein recht auswegloses Unterfangen ist. Meine Mutter versucht dem Beamten zu verdeutlichen, das sie gerne Briefmarken kaufen würde. Eine Dienstleistung, die bis heute eine Aufgabe der Deutschen Post ist, doch damals war man eher Bittsteller um solche durchaus exklusiven Leistungen in Anspruch zu nehmen. Mühseelig regt sich der Beamte hinter seinem Panzerglas, fast so als wolle er tatsächlich Briefmarken aushändigen wollen. Dann bewegen sich seine Lippen und er Formt ein Wort… „Briefmarken woll’n se? Jehen se mal zu mener Kollejin an Schalter 15. Hier jibt es keene mehr“. Ich blicke zu Schalter 15 und beginne die Leute zu zählen, die sich um den heiligen Grahl versammelt haben. Auch hier wieder ein ähnliches Schauspiel wie am aktuellen Schalter. Mühseelig zieht eine Beamtin jede Briefmarke einzelnd aus dem Spender um sie dann jemanden zu übergeben.
Briefmarken waren einst also etwa heiliges… Etwas einmalgies… Etwas, für das man sich anstellen musste um es zu bekommen. Aus diesem Grund (und wohl einiger anderer) entstand dann eine Spezies von Menschen die sich berufen fühlten, Briefmarken zu sammeln. Jene Sammler archivierten die kleinen Papierschnippsel mit vielen Zähchen am Rand sorgsam in einem Briefmarkenalbum. In Einzelfällen wurden sogar auch noch neben der Marke der ganze Brief aufgehoben. Auch ich wurde zum Sammler und füllte gemütlich in kindlichem Eifer langsam div. Alben mit Marken aus aller Welt. Bunte Motive und ungewöhnliche Formen verzierten das beim umblättern knisternde Album…

In der Gegenwart
Man steht in einer Schlange bei einem Postbank Servicecenter. Schalter 1-20 existieren nicht mehr und das Panzerglas ist auch verschwunden. Am Schalter angekommen (kann auch heute noch 45 Minuten dauern) veräußert man gegenüber dem Servicepersonal dann seinen Wunsch… Ich hätte gerne Briefmarken… Dann realisiert man plötzlich, das diese Frage gerade das dämlichste wahr was man an diesem Tag formuliert hat… Einfach eine Briefmarke… Freundlich kommt promt die Gegenfrage… Welche darfs denn sein… Selbstklebend, Plusbrief, Maxibrief, Expressbrief, Rückschein, Eigenhändig, gerollt, geleckt, geknickt, gebügelt oder zum hier essen?
Die Menüauswahl ist in der Tat akzeptabel, aber was wollte ich nochmal versenden?
Schließlich fällt es mir wieder ein… Ich habe ja das zu versendende Objekt in meinem Rucksack… Unter kritischen Blick wird das soeben überreichte Objekt gemustert, durch div. Schlitze gesteckt und schließlich eine Bilanz gezogen… Macht 1,45 Euro. Ich nicke, der Servicemitarbeiter beginnt mit der Eingabe am Computer und kurze Zeit später druckt ein Drucker die Briefmarke aus. Ein wenig Text, lustiger Binärcode den kein Mensch versteht der nicht die komplette Matrixtriologie auswendig gelernt hat und alles in einfachen Schwarzweiß gehalten. Da wird sich der Empfänger sicher freuen, über so eine schöne Marke. Liebevoll klebt der Mitarbeiter die selbst angefertigte Marke auf den Brief und wirft ihn in den Postausgang des Servicecenters. „Der nächste Bitte“ schallt es…

Natürlich kann man in einer Postfiliale immer noch eine ganz gewöhnliche Briefmarke kaufen, wahlweise zum kleben oder wer drauf steht, zum ablecken. Bevorzugt stößt beim Sortiment der Postbank jedoch immer mehr der bereits frankierte Umschlag in den Vordergrund. Die fertig gedruckte Briefmarke selbst fristet ein immer unbedeutenderes dasein, selbst bei Paketen das selbe Trauspielchen. Hatte man einst noch das Paket mit 15 unterschiedlichen Pfennigmarken zugeklebt, druckt man sich heute die Paketmarke an einem gelben elektronischen Kasten selbst aus und spart nen Euro. Gut, das ablecken von Briefmarken vermisst wohl kaum einer, doch frage ich mich wo all die schönen Motive gelandet sind? Eine Briefmarke suche ich jedenfalls auf den Briefen der Gasag und Konsorten vergeblich. Statt dessen der tolle Infotext, das dieser Brief mit FrankIt oder StampIt gelabelt wurde.
Aber auch hier kommt schon das nächste lustige Ding von der Post, das frankieren über das Mobiltelefon. Per überteurten Servicekosten für den Service zzgl. Providerkosten für die SMS erhält man einen Code den man dann auf den Brief schreibt. Das reicht als Frankierung.

Immerhin hat die Post erkannt, das es nicht jedermanns Sache ist einfach eine digitale Marke zu drucken die nur mit Text und binären Informationen ausgestattet ist, sondern ermöglicht es dem Nutzer seine Marke über eine vorgegebene Galerie ein wenig an zu passen. Über einen Speziellen Service lässt sich sogar eine komplett eigene Briefmarke bzw. ein Plusbrief, also Brief inkl. Porto erstellen. Dennoch werden solche gedruckten Papiermarken niemals den Status einer blauen Mauritius erreichen die man heute teils in einer eigenen Vitrine in einem Museum ansehen kann.

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Irgendwas mit DSVGO hier noch reinhauen für das Kommentarfeld…