Es ist gerne mal eine Reise, die alles verändern kann und bei diesem Film sind es sogar gleich zwei Reisen. Die eine Reise beginnt mit einem Trip von Frankreich wo eine Mutter (Ane, gespielt von Patricia López Arnaiz) mit ihren 3 Kindern in ihre Heimat im Baskenland (autonome Region in Nordspanien) reist, um dort die Sommerferien zu verbringen so wie bei einer Taufe beizuwohnen. Gleichzeitig entflieht sie aber auch aus der Beziehung, denn das Elternteil steht kurz vor der Trennung.
Die andere Reise dreht sich um eines der Kinder, den 8 jährigen Aitor (Sofía Otero). Er befindet sich in einem sehr aktiven Selbsfindungsphase und möchte viel lieber ein Mädchen sein. Mit seinem Namen ist er sehr unglücklich und bevorzugt eher Coco genannt zu werden, worüber sich seine Geschwister gerne lustig machen.
Dementsprechend wirkt er oft zurückhalten, seine Blicke befinden sich immer auf der Suche nach etwas das er nicht versteht bzw. einordnen kann. Spricht ihn seine Mutter was mit ihm los ist, wird er still und behauptet es sei schon alles ok, nur um weiteren Fragen zu entgehen.
Am Ziel angekommen kehrt die Familie erstmal bei der Großmutter ein. Auch hier herrscht eine gewisse Anspannung zwischen Ane und ihrer Mutter. Zum einen weil sich ihre Tochter nur selten blicken lässt, zum anderen kritisiert sie das merkwürdige aussehen von Aitor und dann auch noch die Trennung die da im Raum steht. Während die Kinder an den folgenden Tagen recht frei entfalten können, zieht sich Ane in einer alten Garage zurück, die einst ihrem Vater gehörte. Ane möchte hier ein neues Kunstwerk erschaffen um sich damit bei einer Kunstschule in Spanien zu bewerben, während der Rest der Familie damit beschäftig ist, die Taufe vorzubereiten.
Einen recht guten Draht bekommt Aitor zur alleinlebenden Großtante Lourdes (Ane Gabarain), die sich um die in der Familie seit Generationen befindliche Bienenzucht kümmert. Sie nimmt Aitor immer wieder mit zu den Bienen und so wird sie im Verlauf der Geschichte die erste erwachsene Person die erkennt, was in Aitor wirklich vor sich geht und die den Jungen als Mädchen wahrnimmt und sich das Kind sogar zu einer sehr bewegenden Frage traut: „Warum kann ich nicht als Junge sterben und als Mädchen wiedergeboren werden?“.
Seine Großtante erklärt ihr liebevoll, das sie ein wunderschönes Kind sei und man müsse nicht dafür sterben, um das zu sein was man gerne sein möchte. Zu einem späteren Zeitpunkt konfrontiert sie Ane mit all ihren Beobachtungen und rät ihr dringend mit ihrem Sohn über seine Gefühle zu reden. Einem Rat den die Mutter sich letztlich zu herzen nimmt und es schließlich auch schafft das Eis zu ihrem Sohn etwas aufzubrechen. Hier kommt es dann zu wunderbaren Dialogen in dem das Kind hinterfragt „Warum weist du wer du bist, ich aber nicht?“ oder eben äußert „Ich will nicht so werden wie Papa“. Darüber hinaus bittet Aitor darum, von nun an Lucía genannt zu werden. Doch mit diesem Coming of Age Moment kommt es zu ganz neuen Herausforderungen innerhalb der eher streng gläubigen Familienkultur.
Fazit:
Wir stellen uns oft als aufgeklärte moderne und offene Gesellschaft hin, tun uns aber in vielen Fällen schwer damit wenn es um Themen geht die zwar allgegenwärtig sind, aber nicht unserer Komfortzone entsprechen. Eines dieser Themen ist bei vielen sicherlich die Transsexualität. Wenn wir diesen Begriff hören, denken wir gerne an erwachsene Menschen die sich in einem falschen Körper gefangen fühlen, doch beginnt dieses Gefühl oftmals viel früher und somit auch ein langer Leidensweg für Kinder und genau damit befasst sich dieser Film.
In diesem Werk wird ein bereits existierender Leidensdruck eines 8 jährigen Kindes begleitet, das sich im falschen Körper fühlt. Die Gefühle seitens Aitor sind anfänglich noch dezent, der Ruf nach Aufmerksamkeit und die Suche nach Hilfe aber stetig lauter. Doch sind es am Ende wie so oft die „allwissenden“ Erwachsenen die jene Signale nicht verstehen (oder bewusst übersehen), bis jemand von außen kommt um das Kind beim Namen zu nennen (man möge mir das Wortspiel verzeihen).
Zum Glück kann dieser Film aber, anders als der deutsche Film, das Thema deutlich emotionaler und ehrlicher angehen als im Versuch das ganze in eine unnötige Komödie zu pressen, damit viele deutsche ins Kino gehen und ja, ich spiele hier auf „Oscars Kleid“ an, den ich bisher noch nicht gesehen habe. Allerdings sagt der Trailer sagt ja schon viel aus wohin die Reise bei diesem Werk geht.
Ganz perfekt ist dieser Film am Ende aber auch nicht, denn es wirkt auch hier etwas arg aufgesetzt das erst gegen des letzten drittel des Films von einem auf den anderen Moment der Aha-Effekt bei der Mutter eintritt, die bisher ganz gekonnt alle Zeichen übersehen hat und von nun an zur starken Familienrebellin wird, doch im entscheidenden Moment steht sie wieder nicht an der Seite ihres Kindes nur um nochmal einen emotionalen Höhepunkt für den Film zu schaffen.
Darsteller:
Sofía Otero (Lucía)
Patricia López Arnaiz (Ane)
Ane Gabarain (Lourdes)
Itziar Lazkano (Lita)
Sara Cózar (Leire)
Martxelo Rubio (Gorka)
Regie:
Estibaliz Urresola Solaguren
Weitere Infos zum Film:
https://www.berlinale.de/de/2023/programm/202307206.html
Trailer / Filmausschnitt: